Schülerfirma "15plus Service" auf Erfolgskurs
Die Schule SGSZ hat sich in den letzten 25 Jahren stark gewandelt. Herausforderungen und das gemeinsame Vorankommen sind geblieben. Tina Plain, schulische Sozialpädagogin, hat diese Bewegung in all den Jahren miterlebt und mitgetragen. Mit der Schülerfirma «15plus Service», welche die Berufsvorbereitung fokussiert, fördert sie die Schülerinnen und Schüler gezielt.

02.10.2024
Schule
So oft wie möglich gemeinsam unterwegs
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Was fällt dir zum Begriff «gemeinsam» ein? Wir sind in der Oberstufe am Standort Zürich alle unter einem Dach, aber aufgeteilt in zwei Oberstufenklassen und zwei Klassen 15plus. Und doch sind wir gemeinsam unterwegs: Vieles überschneidet sich. Schülerinnen und Schüler werden in ihren Niveaustärken in den Klassen gemischt; die Fächer Mathematik und Sprache werden in zwei Lektionen zusammengefügt. In den Sportlektionen sind sogar alle vier Klassen zusammen und werden je nach Sportlichkeit in zwei Gruppen eingeteilt; die einen sind etwas ruhiger, die anderen etwas wilder unterwegs. Das ist auch im Winterlager dasselbe: Es kommen alle OS-Klassen, sogar jene von Winterthur, zusammen. Wir sind so oft wie möglich gemeinsam unterwegs.
Seit wann gibt es die Schülerfirma «15plus Service» und wie ist sie entstanden? 2013 schrieb das Volksschulamt des Kantons Zürich (VSA) im Rahmenkonzept «Berufswahl- und Lebensvorbereitung von Jugendlichen in der Sonderschulung» vor, dass sich der Fokus der Institutionen auf die Berufsvorbereitung zu richten habe. Das hat uns, zusammen mit der Leitung, dazu bewogen, eine Schülerfirma zu gründen. Wir wollten etwas Sinnvolles anbieten, etwas, das nah am Leben ist: Eine Bestellung kommt herein, wir setzen um und führen den Auftrag aus, liefern das Produkt und stellen dafür Rechnung. Das beinhaltet den gesamten Ablauf einer Auftragskette und vermittelt den Jugendlichen einen wirtschaftlichen Überblick.
Was ist dir wichtig im Zusammensein in der Klasse? Mir ist wichtig, dass sich alle untereinander verstehen und auch nachvollziehen können, um was es geht. Über die Kommunikation kommen die Lernenden aus ihrer Passivität heraus: Sie verstehen, begreifen und müssen handeln. Im Handeln steht die Selbständigkeit an erster Stelle. Die Lernenden können ihre Schwächen kompensieren, indem sie andere Lernende zu Hilfe nehmen und so zu einer guten Lösung kommen. So erkennen sie, dass sie ihren Teil beisteuern können. Aus der Schülerfirma heraus entstand in der Folge das Café Vogel (im Gemeinschaftslokal «Vogel» im Quartier der Baugenossenschaft ABZ; Anm. d. Red.). Wir waren der Meinung, dass es wichtig ist, mit Hörenden Kontakte knüpfen zu können; sich zu überwinden und sich mit ihnen auszutauschen. So begannen wir dort mit Treffpunkten und mit Kaffee und Kuchen.
Welche Aufträge kommen am meisten herein und von wem? Wir bieten inzwischen auch Apérogebäck, diverses Handwerk oder Desserts für ganze Gesellschaften an. Die meisten Aufträge erhalten wir aber mit Bestellungen für Kuchen. Daneben fertigen wir Begrüssungsgeschenke für neu eintretende Mitarbeitende des Zentrums an. Wir nehmen Aufträge von internen Bereichen, Mitarbeitenden, von externen Privaten und Firmen entgegen. Vieles läuft über Mund-zu-Mund-Propaganda. Es spricht sich herum!
Was sind die Herausforderungen für die Schülerinnen und Schüler in der Planung und Ausführung der Aufträge?
Wir visualisieren jeden Schritt des Ablaufes auf einer Tafel. So können die Lernenden immer wieder die Aufgaben nachlesen. Sind auf der Website Bestellungen eingegangen? Bis wann muss der Auftrag erledigt sein? Welche Zutaten für den Kuchen haben wir vorrätig? Bei Aufträgen zum Beispiel bei der Produktion der Paravents: Das genaue Abmessen und Arbeiten ist wichtig. Weiter denken in den Arbeitsschritten – und nicht warten auf neue Anweisungen – sind massgebend. Ich versuche, die Lernenden mit Fragestellungen in ein proaktives Denken und Handeln zu führen. Welcher nächste Arbeitsschritt steht an? Es geht auch ums Tempo einhalten. Das alles ist für viele Lernende sehr anspruchsvoll und eine grosse Herausforderung.
Können die Aufträge fristgerecht ausgeführt werden? Mit den Kalendereinträgen gebe ich den Lernenden eine Vorstellung, wie viele Tage sie zur Verfügung haben, bis ein Auftrag ausgeführt werden muss. So sind alle Schülerinnen und Schüler in die Planung integriert. Ich hole sie dort ab, und versuche, sie mitzunehmen in die Verantwortung und Mitbestimmung.
Wie gut können Lernende auf das ausserschulische Leben vorbereitet werden bzw. was sind die Hürden?
Die grösste Hürde ist, dass sie nur eine begrenzte Auswahl an Anschlussmöglichkeiten haben. Nur gerate zwei Institutionen in der deutschen Schweiz sind gebärdenorientiert und bieten Ausbildungen an. Jugendliche, die nicht dringend auf Gebärden angewiesen sind – also Stärken in der Lautsprache vorweisen können – haben andere Möglichkeiten; zum Beispiel mit der EBA (zweijährige berufliche Grundbildung mit eidg. Berufsattest EBA; Anm. d. Red.) in anderen Firmen und Institutionen.
Ein Bespiel aus meinem Alltag zeigt, dass die Berufswünsche nicht immer umsetzbar sind: Eine gehörlose Schülerin würde gerne in einem Kindergarten arbeiten. Wir haben es ihr ermöglichst, im hausinternen Kindergarten ein Praktikum zu absolvieren, welches sie mit grosser Begeisterung besucht. Eine Ausbildung wäre für diese Schülerin leider aus diversen Gründen nicht realistisch.
Werden mit dem Praktikum nicht falsche Hoffnungen geweckt?
Wir haben die Schülerin mit der Realität konfrontiert und ihr erklärt, was möglich ist und was nicht. Sie freut sich, dass ein Praktikum zustande gekommen ist. Ich habe ihr aber erklärt: Ich wäre gerne Sängerin geworden; das war aber nicht möglich, weil ich dafür eine bessere Stimme gebraucht hätte. So ist für viele eben einiges nicht möglich, auch für Hörende, und das muss man akzeptieren können. Mit dem Praktikum erkennt die Schülerin vielleicht auch, wo es in der Verständigung schwierig ist. Wichtig ist, dass wir immer darüber reden können.
Kannst du mit der Schülerfirma das Teamwork unter den Lernenden positiv beeinflussen? Ja, auf jeden Fall! Indem die Lernenden merken, wo ihre Schwächen und Stärken liegen. Sowohl ihre Stärken als auch ihre Schwächen lassen sich überall einsetzen, und untereinander helfen sie sich aus. Sie haben Achtung davor, was ihnen möglich ist und was andere können. So erhalten sie das Gefühl, gesehen zu werden. Alle Lernenden finden Nischen, wo sie ihre Stärken einsetzen können. Daraus resultiert gegenseitiger Respekt und ein besseres Selbstwertgefühl.
Was würdest du ändern an deinem Arbeitsumfeld – wenn du könntest? Es wäre wichtig, wenn Gehörlose gleiche Chancen in der Berufswelt haben könnten wie Hörende. Eine gleichwertige Stellung, gleiche Kompetenzen wie Hörende: Das würde den Gehörlosen eine solide Basis geben.
Welche Erfahrung in all deinen Jahren am ZGSZ möchtest du nicht missen? Die direkte Arbeit mit den Lernenden, weil ich so viel über mich selbst gelernt habe. Erst wenn ich offen und direkt bin, kann ich spüren, wie es mir geht. Und in der Folge kann ich dies von den Lernenden spüren. Andere Wege aufzeigen habe ich auch gelernt. Und wenn jemand etwas nicht versteht, kann ich nachempfinden, wie schwierig das für die Betroffenen sein kann. Und das Wichtigs­te: Dass alles immer über Interessen, Stärken und die Freude am Thema läuft!
Informationen zur Schülerfirma finden sich hier: 15 Plus Service (15plus-service.ch)
««Ich versuche, die Lernenden mitzunehmen in die Verantwortung und Mitbestimmung.»

Tina PlainSchulische Sozialpädagogin